Umgang mit den psychologischen Folgen eines Schockereignisses

Akute Belastungsreaktion: Leitfaden zur Vorbeugung von PTBS

Wenn ein Mensch ein traumatisches oder lebensbedrohliches Ereignis erlebt, aktiviert der Körper starke Überlebensmechanismen wie die Kampf-oder-Flucht-Reaktion, um sofortige Sicherheit zu gewährleisten. Unmittelbar danach erleben viele jedoch noch einen Zustand erhöhten Stresses, der als akute Belastungsreaktion bezeichnet wird. Diese Phase kann durch Desorientierung, intensive Emotionen oder Übererregung gekennzeichnet sein.

Diese Phase direkt nach dem Shock bietet auch eine entscheidende Chance: Frühzeitige psychologische und körperorientierte Unterstützung, wie Erdungstechniken oder professionelle Beratung, kann dazu beitragen, das Nervensystem zu stabilisieren, das Risiko einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu verringern und sogar den Grundstein für eine posttraumatische Entwicklung im Laufe der Zeit zu legen.

In diesem Artikel erfahren Sie, wie der Körper auf einen Schock reagiert, auf welche Anzeichen Sie direkt nach dem Ereignis achten müssen und – am wichtigsten – was Sie in den ersten Stunden und Tagen tun können und was Sie nicht tun sollten, um einer PTBS vorzubeugen und den Grundstein für die posttraumatische Entwicklung zu legen.

Akute Belastungsreaktion / Akutes Trauma

Was passiert während und nach einem Schockereignis?

Als Reaktion auf ein plötzliches, überwältigendes Ereignis – wie einen Unfall, einen Angriff oder einen traumatischen Verlust – mobilisiert der Körper sofort seine Überlebenssysteme. Diese instinktiven Reaktionen, oft als „Kampf, Flucht oder Erstarren“ bezeichnet, sind tief in unserem Nervensystem verankert.

Unser Körper eine bemerkenswerte Fähigkeit, angeborene Überlebensmechanismen zu aktivieren. Er bereitet uns auf die Konfrontation mit Bedrohungen oder die Flucht vor ihnen vor, indem er innere Ressourcen mobilisiert, um sofortige Sicherheit zu gewährleisten. Doch sobald die Gefahr vorüber ist, kann der Körper in einem Schockzustand verbleiben – immer noch voller Stresshormone und auf der Suche nach Sicherheit.

Dieser Zustand nach dem Schock ist oft desorientierend. Der Geist hat Mühe, das Geschehene zu verarbeiten, während der Körper in höchster Alarmbereitschaft bleibt. Obwohl unangenehm, ist diese Phase nicht pathologisch – sie ist eine normale, zeitlich begrenzte Reaktion auf eine ungewöhnliche Situation. Und wichtig ist: Es ist eine Phase, in der qualifizierte Unterstützung einen nachhaltigen Unterschied machen kann.

Die Akute Belastungsreaktion (ICD-10 F43.0)

Gemäß der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) ist eine Akute Belastungsreaktion (ABR) (F43.0) die unmittelbare psychische und physiologische Reaktion des Körpers auf ein stark belastendes Ereignis. Das Ereignis kann physischer oder psychischer Stress sein, wie z. B. die Beobachtung eines traumatischen Ereignisses.

Die akute Belastungsreaktion ist eine unmittelbare und vorübergehende Reaktion. Sie beginnt typischerweise innerhalb von Minuten nach dem Trauma und kann Stunden oder einige Tage anhalten. Die Symptome treten in der Regel direkt nach dem Schockereignis (innerhalb weniger Minuten) auf und klingen innerhalb weniger Stunden oder Tage nach dem Ereignis ab.

Typische Symptome einer ABR sind:

Die Symptome der Akuten Belastungsreaktion entstehen durch ein überaktiviertes sympathisches Nervensystem, das den Körper mit Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol überflutet. Körperlich kann sich dies als nervös, ruhelos und überaktiv anfühlen. Alternativ oder zusätzlich können Symptome einer parasympathischen Ausschaltung auftreten (z. B. Blässe, Taubheitsgefühl, Dissoziation).

In vielen Fällen klingen diese Symptome von selbst ab. Bei manchen Menschen, insbesondere bei Menschen ohne Unterstützung oder mit einer traumatischen Vergangenheit, kann sich die Reaktion zu einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) entwickeln. Deshalb ist eine frühzeitige, fundierte Intervention so wichtig.

Symptome im Bereich Kognition und Wahrnehmung

Diese Symptome spiegeln wider, wie das Gehirn Informationen während und unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis verarbeitet (oder nicht verarbeitet).

  • Eingeschränkte Aufmerksamkeit (Tunnelblick)
  • Desorientierung und Verwirrung
  • Unfähigkeit, Dinge zu verarbeiten & externe Reize verstehen
  • Erinnerungslücken zum Ereignis – Schwierigkeiten, sich an Details zu erinnern

Emotionale und Verhaltenssymptome

Diese Symptomgruppe spiegelt äußere Ausdrücke innerer Unruhe wider, die von Rückzug bis zu intensiver Erregung reichen.

  • Rückzug aus sozialen Interaktionen
  • Agitierte Überaktivität oder Ruhelosigkeit
  • Reizbarkeit, Wut oder verbale Aggressivität
  • Emotionale Volatilität, z. B. Weinen, Panik
  • Unkontrollierte / überwältigende Trauer
  • Taubheit / Dissoziation (Gefühl der Unwirklichkeit oder (Verbindung getrennt)
  • Einfrieren oder Bewegungslosigkeit (unfähig, sich zu bewegen oder zu reagieren)

Physiologische (autonome) Symptome

Dabei handelt es sich um automatische, auf Überleben ausgerichtete Reaktionen des Körpers, die vom sympathischen und parasympathischen Nervensystem gesteuert werden.

  • Erhöhte physiologische Erregung, z. B. schneller Herzschlag, Schwitzen
  • Muskel Anspannung oder Zittern
  • Hyperventilation oder Kurzatmigkeit
  • Übelkeit oder Verdauungsstörungen
  • Schwindel oder Benommenheit
  • Taubheitsgefühl
  • Rötung oder Blässe

Differenzialdiagnose

Die ICD-10 unterscheidet die akute Belastungsreaktion von der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) (F43.1). Dabei wird darauf hingewiesen, dass die akute Belastungsreaktion vorübergehend ist, während die PTBS anhaltende Symptome aufweist, die innerhalb von sechs Monaten nach dem Ereignis auftreten.

Warum diese Phase so entscheidend ist

Die Zeit unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis wird oft als kritisches Fenster bezeichnet. Es handelt sich um einen kurzen Zeitraum (wenige Stunden bis zu zwei bis drei Tage nach dem Ereignis), in dem das Nervensystem noch verarbeitet und das Gehirn die Traumaerinnerungen noch nicht verfestigt hat. Die emotionalen und sensorischen Eindrücke des Ereignisses sind noch formbar.

Frühzeitige Unterstützung während des kritischen Fensters kann den Genesungsverlauf für viele Menschen verändern, abhängig von den individuellen Umständen und der Art der Unterstützung.

  • Das Gehirn reagiert stark auf externe Sicherheitssignale
  • Sinnbildung und Gedächtnisspeicherung sind noch im Fluss
  • Unterstützende Erfahrungen können traumatische Prägungen abmildern oder neu auslegen
  • Regulation und Co-Regulation können die Belastung des Nervensystems langfristig reduzieren. Dysregulation

In dieser Phase können wir vor allem innere Ressourcen aktivieren und die Erfahrung in Richtung Resilienz lenken.

Interventionen unmittelbar nach dem Ereignis – während bzw. kurz nach der akuten Belastungsreaktion – können das Risiko einer posttraumatischen Belastungsstörung verringern.

Soforthilfe: Wie können andere helfen, PTBS vorzubeugen?

Wenn sich jemand in einer akuten Belastungsreaktion befindet, ist es entscheidend, wie andere auf ihn reagieren. Die Unterstützung anderer, Ersthelfer, Ärzte, Angehörige oder professionelle Therapeuten oder Berater können den Ausgang beeinflussen.

In dieser Phase ist es wichtig, die Person zu stabilisieren und ihr dabei zu helfen, sich im gegenwärtigen Moment nach dem Ereignis zurechtzufinden. Als Ersthelfer muss man nach und nach Kontakt aufnehmen, der Person helfen und ihr helfen, sich zu beruhigen.

Unmittelbar nach dem Schockereignis besteht die Möglichkeit, dazu beizutragen, die Person zu stabilisieren.

Unterstützung bei akutem Stress: Was hilft

  • Bleiben Sie ruhig und geerdet – Nervensysteme regulieren sich gegenseitig. Ihre ruhige Präsenz hilft der Person, sich zu stabilisieren.
  • Bieten Sie einfache, klare Zusicherungen / Beruhigung – Wiederholen Sie Sätze wie: „Du bist jetzt in Sicherheit“ oder „Ich bin bei dir“.
  • Orientieren Sie die Person in Zeit, Ort und Prozess – Helfen Sie der Person, in die Gegenwart zu finden. Orientieren Sie sich an Zeit und Ort und an dem, was gerade passiert: „Vor einer Stunde hatten Sie einen Autounfall, jetzt sind Sie im Krankenhaus. Mein Name ist XY und ich bin verantwortlich für …“
  • Respektiere Grenzen – Körperliche Berührung kann nur helfen, wenn sie willkommen ist. Immer zuerst fragen.
  • Stille Präsenz kann heilsam sein. – Bieten sie der Person einen sicheren Raum

Bieten Sie Sicheren Kontakt.

Was Ersthelfer bei einer akuten Belastungsreaktion vermeiden sollten

Bei der Unterstützung von Menschen unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis spielen Ersthelfer – ob Angehörige, Fachkräfte oder Umstehende – eine entscheidende Rolle. Bestimmte Verhaltensweisen können jedoch unbeabsichtigt den Leidensdruck verstärken oder die Genesung behindern. Folgendes sollten Sie bei der Unterstützung von Menschen mit einer akuten Belastungsreaktion vermeiden:

  • Zwingen Sie die Betroffenen nicht, über das Ereignis zu sprechen. Jemanden zu drängen, das Trauma zu schildern, kann ihn überfordern, da seine Verarbeitungsfähigkeit beeinträchtigt sein kann. Lassen Sie sie in ihrem eigenen Tempo erzählen.
  • Vermeiden Sie es, aufdringliche oder überfordernde Fragen zu stellen. Vermeiden Sie bohrende Fragen wie „Was ist passiert?“ oder „Warum haben Sie das getan?“. Diese können die Angst verstärken oder der Person das Gefühl geben, dass sie schuld ist.
  • Drängen Sie nicht zu früh zur Reflexion. Vermeiden Sie analytische Fragen wie „Was hättest du anders machen können?“ In der Anfangsphase kann die kognitive Verarbeitung eingeschränkt sein und solche Fragen können kontraproduktiv sein.
  • Verharmlosen Sie ihre Gefühle nicht. Aussagen wie „Das ist doch keine große Sache“ oder „Beruhigen Sie sich einfach“ können die Erfahrung der Person entwerten und Gefühle von Scham oder Isolation verstärken.
  • Geben Sie keine falschen Zusicherungen ab. Vermeiden Sie Versprechungen wie „Alles wird gut“ oder „Das kommt nicht wieder vor“, die, wenn sie unwahr sind, das Vertrauen untergraben können. Bleiben Sie bei gegenwartsbezogenen Aussagen wie „Du bist jetzt in Sicherheit“ (sofern zutreffend).
  • Berühren Sie nicht ohne Zustimmung. Ein Trauma kann dazu führen, dass sich Körperkontakt bedrohlich anfühlt. Fragen Sie immer um Erlaubnis, bevor Sie eine Umarmung oder Berührung anbieten, z. B.: „Darf ich deine Hand halten?“
  • Lassen Sie die Person nicht allein, es sei denn, die Person bittet um Freiraum und es ist sicher. Eine ruhige, unterstützende Präsenz fördert die Regulierung des Nervensystems.
  • Verwenden Sie keine wertende Sprache. VVermeiden Sie Formulierungen wie „Du hättest es besser wissen müssen“, die Schuldgefühle oder Hilflosigkeit verstärken können. Bestätigen Sie stattdessen die Überlebensinstinkte der Betroffenen (auch wenn diese vielleicht gegen normale Lebensnormen und Werte verstoßen haben).
  • Überfordern Sie die Person nicht mit Informationen oder Auswahlmöglichkeiten. Komplexe Erklärungen oder Entscheidungen können bei akutem Stress zu viel sein. Halten Sie die Kommunikation einfach und konzentrieren Sie sich auf die unmittelbaren Bedürfnisse.
  • Jeder Mensch reagiert anders. Passen Sie Ihre Unterstützung an die Signale des Betroffenen an, egal ob er Ruhe, Zuspruch oder sanfte Erdung braucht.

Indem Ersthelfer diese Fallstricke vermeiden, können sie eine sichere, unterstützende Umgebung schaffen, die die Stabilisierung fördert und den natürlichen Genesungsprozess des Betroffenen unterstützt.

Ersthelfer sollten vermeiden, jemanden zu zwingen, über das Ereignis zu sprechen, Gefühle herabzusetzen oder die Person ohne deren Zustimmung zu berühren. Stattdessen sollten sie eine ruhige, sichere Umgebung schaffen, um die natürliche Erholung zu unterstützen.