Gehirn, Nervensystem und Trauma-Therapie
In diesem Artikel finden sie einen Überblick über das Nervensystem und wie es auf traumatischen Schock reagiert. Abgerundet wird der Artikel mit einem kurzen Ausblick auf unterschiedliche Herangehensweisen in unterschiedlichen Psychotherapieschulen (um es vorweg zunehmen: Unterschiedliche Schulen gehen sehr unterschiedlich vor.)
Überblick über das Nervensystem
Kernbestandteile des Nervensystems
Das Nervensystem besteht aus dem zentralen Nervensystem (Gehirn, Rückenmark) sowie dem peripheren Nervensystem (Nervensystem außerhalb von Gehirn und Rückenmark).
Das zentrale Nervensystem besteht aus den Neuronen in Gehirn und Rückenmark. Seine Aufgabe ist die Integration, Koordination und Regulation aller körperlichen Funktionen, die Verarbeitung aller neuronalen Informationen und die Entsendung von Befehlen an unterschiedliche Bereiche des Körpers.
Das periphere Nervensystem umfasst das neuronale Gewebe im Körper außerhalb von Gehirn und Rückenmarkt. Es umfasst das somatische Nervensystem und das autonome Nervensystem:
- Das somatische Nervensystem umfasst die sensorischen, muskulären und motorischen Nerven. Es ist für Bewegungen und Wahrnehmung unserer Umwelt zuständig und der bewussten Steuerung zugänglich.
- Das autonome Nervensystem (ANS) steuert die grundlegenden Lebensfunktionen, die wir gewöhnlich nicht bewusst kontrollieren, wie Atmung, Verdauung und allgemeines Erregungsniveau. Das autonome Nervensystem hält auch während des Schlafes grundlegende Lebensfunktionen aufrecht. Die Funktionen des Autonomen Nervensystems sind weitgehend unbewusst.
Für die Reaktion auf traumatische Situationen spielt das autonome Nervensystem eine wesentliche Rolle. Es stellt die Voraussetzungen für den Notfallmodus in Gefahrensituationen.
Das Nervensystem im Normalzustand und Reaktion auf traumatische Schockereignisse
Gehirn und Autonomes Nervensystem im Normalmodus – Sozialer Kontakt-Modus
In Normalmodus gibt es eine gesunde Balance, ein Hin-und Her zwischen Anspannung (Beschleunigung) und Entspannung (Entschleunigung). Der Mensch ist anpassungsfähig auf veränderte Umstände, kann bewusst agieren und überlegt reagieren. Dieses anpassungsfähige Aktivierungsniveau ermöglicht uns sozialen Kontakt in Familie und Gruppe.
Am anpassungsfähigen Aktivierungsniveau sind sowohl sympathisches und parasympatisches Nervensystem flexibel beteiligt. Das Gehirn ist aktiv und der Mensch kann klar denken. Der Mensch kann seinem eigenen Rhythmus von Aktivität und Entspannung folgen und sich gleichzeitig auf die Erfordernisse der Situation im sozialen Kontakt einstellen.
Das Nervensystem im Normalmodus
Das autonome Nervensystem, bestehend aus Sympathikus und Parasympathikus, hat im Normalfall die folgenden Aufgaben:
- Sympathisches Nervensystem
Fährt das Aktivitätsniveau flexibel hoch.- Das „Gaspedal“ (Aktivität, Bewegung).
- Anspannung, Reaktion auf Bedrohung
- Parasympathisches Nervensystem
Fährt das Aktivitätsniveau flexibel herunter. Gleichzeitig verantwortlich für eine Art Wartungsmodus (Schlaf, Energieversorgung, Verdauung, Stoffwechsel, Entspannung).- Die „Bremse“ (Entspannung / Verlangsamung)
- Sozialer Kontakt Modus
- Wartung und Aufrechterhaltung wesentlicher Lebensfunktionen
In Normalmodus gibt es eine gesunde Balance, ein Hin-und Her zwischen Anspannung (Beschleunigung) und Entspannung (Entschleunigung). Im Gehirn sind präfrontaler Cortex und in gewissem Maße limbisches System aktiv. Die Person kann klar denken und ihre Emotionen berücksichtigen. Dies ermöglicht soziale Aktivität und Kontakt.
Das Gehirn im Normalmodus
Im Normalmodus ist auch das Gehirn auf optimale Aktivität eingestellt – alle Gehirnregionen können nach Bedarf genutzt werden. Insbesondere das Großhirn mit präfrontalem Cortex und Temporallappen ermöglicht höhere kognitive Funktionen (Überlegung, Planung, Entscheidungen), klares Denken und Kommunikation. Das Kleinhirn erlaubt im Zusammenspiel mit motorischem Cortex differenzierte Bewegungen. Auch das limbische System ist beteiligt, es steuert über unsere emotionalen Reaktionen den sozialen Kontakt. So ist z.B. die Insula an der eigenen Körperwahrnehmung und der differenzierten Wahrnehmung von Emotionen beteiligt. Gleichzeitig steuern Hirnstamm- und Zwischenhirn autonome Vorgänge – und hält den Körper am laufen und steuert z.B. Verdauung und Schlaf-Wach-Rhythmus.
Gleichzeitig gibt es im limbischen System Warnmechanismen, die es erlauben ggf. in Notfallmodus umzuschalten. Daran ist z.B. die Amygdala, eine Art Angstmelder bzw. Bedrohungsdetektor beteiligt und bringt Gefahren ins Bewusstsein.
Im Gehirn sind im Normalmodus alle Gehirnbereiche aktiv. Die Person kann klar denken und ihre Emotionen berücksichtigen.
Gehirn und Autonomes Nervensystem im Notfallmodus – Traumatischer Schock
Das allgemeine Erregungsniveau wird im Zusammenspiel zwischen Hypothalamus und limbischen System gesteuert und über Neurotransmitter und Nervensystem in den Rest des Körpers übertragen – insbesondere dann, wenn die Amygdala als Gefahrenmelder angeschlagen hat. Dies ermöglicht dem Körper in Gefahrensituationen in eine Art Notfallmodus zu schalten.
Hirnstamm und Kleinhirn – Automatisierte Abläufe
In Notfall- und Gefahrensituationen greifen wir auf reflexartige und automatisierte Handlungsabläufe zurück. D.h., dass in diesem Fall der Hirnstamm die Steuerung übernimmt. – Es ist keine Zeit für Überlegungen im Großhirn, es geht um das Überleben. Das Verhalten setzt sich in diesem Fall aus instinktiven (vom Hirnstamm gesteuertem Verhalten) und automatisierten Bewegungsabläufen (welche vom Kleinhirn gesteuert werden) zusammen.
- Der Hirnstamm ist der älteste Teil des Hirns, es regelt automatische und überlebenswichtige Funktionen, wie z.B. Atmung (Atemreflex), Blutdruck, andere Reflexe etc.
- Das Kleinhirn (Cerebellum) ist verantwortlich für reflexartige Bewegungsabläufe. Dies ermöglicht z.B. Notfallhelfern, Soldaten oder Kampfsportlern in Situationen hoher Gefahr auch komplexe Abläufe durchzuführen, die vorher genau eingeübt wurden.
Sympathikus – Flucht oder Kampf
Zudem wird in Notfall- und Gefahrensituationen über den sympathischen Teil des autonomen Nervensystems eine Kampf-oder-Flucht Reaktion im gesamten Körper ausgelöst.
Zunächst gibt es einen Schreckreflex bei Gefahrensignal. Dies ist ein kurzes Innehalten, welches auch mit einem Einfrieren (bei hoher Muskelspannung) verbunden sein kann.
Danach folgt eine Orientierungsreaktion und Entscheidung ob Gefahr droht. Falls Gefahr droht, fährt der Körper weiter hoch Richtung Flucht oder Kampf. Falls die Orientierung ergeben hat, das keine Gefahr droht, kann die Person zum Normalmodus zurückkehren.
Wenn tatsächlich Gefahr droht, geht das Nervensystem in die sog. Kampf- oder Flucht-Reaktion (Fight or Flight Response) über. Die Muskeln gehen in maximale Spannung. In diesem Zustand bereitet sich der Körper auf höchste Aktivität vor – schnell zu fliehen oder wenn Flucht unmöglich ist zu kämpfen.
Sympathikus – Der Sympathikus ist verantwortlich für das Hochfahren des Körpers in Gefahrensituationen.
Parasympathikus – Notabschaltung
Im Extremfall, wenn Flucht oder Kampf nicht möglich sind, löst der Parasympathikus eine Art Notabschaltung aus. Dieses Herunterfahren in Momenten höchster Gefahr wird wahrgenommen als Schockstarre (auch bekannt als Schreckstarre / Totstellreflex ist).
Die Notabschaltung unterscheidet sich vom Einfrieren im Schreckreflex (siehe oben). Die Schockstarre ist charakterisiert durch vollständige Unbeweglichkeit und Verlust der Muskelspannung. In diesem Zustand ist die Person schmerzunempfindlich und nimmt die normalen Körperempfindungen eher aus einer Beobachterperspektive wahr. Auch in Momenten der Notabschaltung liegt unter der Immobilität eine sehr hohe Erregung.
Parasympathikus – Der Parasympathikus umfasst ist für die Notabschaltung zuständig
Rückkehr in den Normalmodus
Wenn die Gefahr vorüber ist, kehrt die Person zum Sozialen Nervensystem zurück. Damit ist sie wieder fähig zu komplexen Interaktionen mit anderen Menschen bzw. in der Gruppe. Dies erfolgt über ein Zusammenspiel zwischen Sympathikus und Parasympathikus.
Erwachen aus der Immobilität: Wenn eine Notabschaltung erfolgt war, ist es zunächst erforderlich, aus dem Zustand der Immobilität herauszukommen. Dies erfolgt über sympathische Aktivierung. Der Flucht- oder Kampf Modus wird reaktiviert. Damit wird es möglich die unterhalb der Notabschaltung liegende gespeicherte hohe Energie aufzubrauchen.
Verarbeitung der Flucht- und Kampfenergien: Um aus dem Flucht- oder Kampf- Modus in den Normalzustand zurückzukehren, ist eine Verarbeitung der sympathische Erregung erforderlich. Dies äußert sich z.B. als Abzittern von traumatischer Energie oder einem hohen Bewegungsdrang. Zusätzlich ist oft die Orientierungsreaktion nachzuholen.
Schließlich erfolgt die Rückkehr in den Normalmodus. Über den Parasympatikus wird die sympatische Energie heruntergefahren. Der Körper tritt sozusagen auf die Bremse. Schließlich steht auch auch das Großhirn wieder vollständig zur Verfügung und sozialer Kontakt wird wieder möglich.
Für die Rückkehr in den Normalmodus ist ein Zusammenspiel aus Sympathikus und Parasympathikus erforderlich.
Vorgehen in der körperorientierten Traumatherapie
Unterschiedliche Verfahren in der Psychotherapie
Die Verfahren der Körperpsychotherapie arbeiten überwiegend mit Bottom-up-Prozessen: D.h., sie gehen aus vom Körper und aktuellen Sinnesinformationen.
Im Vergleich dazu arbeiten die klassischen Verfahren der Psychotherapie (z.B. Verhaltenstherapie) eher mit Top-down-Prozessen: Sie gehen von Konzepten, bewusster Bedeutungsgebung und bewussten Entscheidungen aus.
Praktisch bedeutet das Bottom-up-Vorgehen, dass älteren Hinstrukturen angesprochen werden. Veränderung auf diesen Ebenen ermöglichen dann Veränderungen im präfrontalen Cortex und verändertes bewusstes Erleben.